Raph holt uns am Tag nach unserer Trekkingtour aus Matouba ab, wir können nochmal alles durchwaschen und eine Nacht hier verbringen. Wir laden alle zum Abendessen ein und am nächsten Tag, am 24.12., heißt es Abschied nehmen. Raph & Mae bringen uns nach Trois-Reviere zur Bootsanlegestelle und bei der Verabschiedung spüren wir alle, dass wir uns irgendwann wiedersehen werden!

Eine halbe Stunde fährt das Boot von Basse Terre nach Terre-de-Haute, der belebtesten Insel der kleinen Inselgruppe mit dem Namen „Les Saintes“. Die Bucht, in der wir mit dem Boot anlegen, ist malerisch: Fregattvögel und Pelikane kreisen über uns und hinter dem türkisfarbenen Meer erstreckt sich die hügelige Landschaft von Terre-de-Haute. In den engen Gassen mit kleinen Geschäften tummeln sich französische Touristen, laute Roller und kleine Elektrowagen drängeln sich vorbei, Autos gibt es so gut wie keine. Der Trubel zerstreut sich auch gleich wieder, sobald wir den kleinen Ortskern an der Hauptbucht verlassen und Richtung dem Strand spazieren – oder besser gesagt stapfen, mit all dem schweren Gepäck samt Hang, Essen und Wasser – den Raph uns als mögliche Camp-Option genannt hat. Der Wind bläst kräftig hier am „Plage du Figuier“, ein Schild macht deutlich, dass man hier kein Zelt aufstellen darf, kleine Häuser umgeben die Bucht und es sind auch ein paar Urlauber hier. Alles keine guten Voraussetzungen, hier unser Zelt aufzustellen. Wir verbringen ein paar sehr ruhige Stunden im Schatten ein paar Sträucher, die uns auch ein wenig vor dem Wind schützen und dann machen wir uns auf zu einem weiteren Platz, den uns Mae & Raph als sichere Option für das Zelt empfohlen hatten: den Gipfel der höchsten Erhebung „Le Chameau“ („Das Kamel“), der knapp über 300m hoch liegt. Es war ein echter Kraftakt die steile Straße – auf der glücklicherweise niemand fahren, sondern nur gehen darf – hoch zu steigen. Jeder von uns hatte 20-25kg umgehängt und wir sind komplett durchgeschwitzt, als wir die windige Anhöhe mit der Ruine der alten Festung erreichen.Wir waren bestimmt noch nie so sportlich an Weihnachten! Die Ausblicke von hier oben sind fantastisch und wir genießen unsere Wraps mit Käse während der Himmel blau und lila wird, bevor die Dunkelheit die Überhand gewinnt. Wir stellen erstmalig unser Zelt auf, in einem der hinteren Räume der Burgruine, der zwar etwas entrisch wirkt, aber uns vor Wind (der hier ziemlich stark bläst) und Regen schützt. Wir setzen uns nochmal hinaus, an die windgeschützte Seite der Ruine und staunen über den prächtigen Sternen-Himmel über uns. Unter uns die Lichter der Bucht und der kleinen Siedlungen und der Wind trägt feierliche Musik der Weihnachtsfeste zu uns herauf. Wir packen das Hang aus und fühlen uns gleich ein Stück heimeliger hier oben. Im Zelt gibt’s dann noch ein paar Cantucini (unser Keks-Ersatz) zum Naschen bevor wir recht zeitig die Stirnlampe ausknipsen.

Da es hier auf den Inseln keine wirklichen Campspot-Alternativen gibt, haben wir am 25sten einfach unser Lager wieder abgebaut, alles in den umliegenden Büschen versteckt und sind mit Tagesrucksäcken wieder abgestiegen, um die Insel bzw. Strände zu erkunden. Nachdem wir auch untertags schon viel auf den Beinen waren (die Insel lässt sich gut zu Fuß erkunden) ging es abends dann wieder die 300hm hinauf zu unserer kleinen Burg mit der Wahnsinns-Aussicht in jede Richtung. Wir schaffen es gerade noch trockenen Fußes hier herauf und können dann das Wetterschauspiel bewundern, als sich die Regenwolken vom Meer nähern und binnen kürzester Zeit alles einhüllen, inklusive uns und den anderen, die für den Sonnenuntergang hier heraufgekommen sind. Wir ziehen noch schnell unsere Sachen aus dem Versteck im Gebüsch und flüchten in die Ruine, wo wir kurz darauf von einer Gruppe Franzosen umgeben sind. Wir bekommen ein Glas Champagner in die Hand gedrückt und stoßen gemeinsam auf Weihnachten an. Alle sind sehr interessiert, was wir hier oben treiben und es dauert nicht lange, da sagt Benjamin: „I have never tried Couchsurfing, but I have a house here and you can be our guests!“ -Was für eine Weihnachtsüberraschung!!

Eine Stunde später beziehen wir schon unser Zimmer mit eigenem Bad in der schicken Villa mit der großen Terrasse und dem umwerfenden Ausblick! Beim Abendessen lernen wir alle besser kennen und es hat uns hier zu wirklich lieben und interessanten Menschen verschlagen. Russlan, der einzige der auch mit einem Rucksack hier und in unserem Alter ist, kommt aus Moskau und ist weltreisender Unternehmen, der nur wenig Zeit in seiner „homebase“ in Berlin verbringt. Er beschäftigt sich viel mit dem Thema Spiritualität, liest Ken Wilber und Carlos Castaneda und versucht das auch in seine Tätigkeit als Unternehmensberater einfließen zu lassen. Er erzählt uns interessante Geschichten seines Reiselebens und wir bekommen gute Tipps für spirituelle Plätze in Indien. Benjamin, der Gastgeber, hat in den 90ern viel Geld mit einem Internetkonzept à la Amazon gemacht, das er knapp vor dem Platzen der dot-com-Blase an einen französischen Energieanbieter verkauft hat. Seitdem ist er „Businessangel“ und beteiligt sich an verschiedenen Start-ups, u.a. entwickelt er gerade spezielle Segelboote. Céline ist Benjamin’s beste Freundin und möchte ihr stressiges Leben in Paris als Psychologin für Palliativ-Patienten nun aufgeben und in das entspanntere Marseille ziehen, nahe ans Meer, denn ihre Leidenschaft ist das Segeln und vielleicht wird sie irgendwann mal ganz auf einem Segelboot wohnen. Sebastian ist Benjamin’s fast gleichaltriger Neffe, er hat sich mit 30 bewusst aus dem stressigen und ihn nicht-glücklich-machenden Management-Alltag zurückgezogen und ist nun Englischlehrer an einer Universität in Montpellier und mit seiner lieben Freundin Aude hier auf Weihnachtsurlaub. Wir trinken guten Wein und spielen bis spät in die Nacht Karten an diesem ersten Abend in der „Villa Corail“…

Wir sind sehr fasziniert von dieser Kraft, die uns hier lenkt und auch an diesen Platz gebracht hat. Tiefe Dankbarkeit stellt sich in uns ein, denn die nächsten Tage sind genau das, was uns im Moment gut tut! Wir verlassen das Haus kaum – abgesehen von einem kleinen Schnorchelausflug und einem abendlichen Spaziergang – genießen einfach nur das Sein auf der Terrasse und die Unkompliziertheit und Frieden dieses Ortes.

Benjamin ist wirklich großzügig und so lädt er uns alle am letzten Abend noch in eines der besten Lokale Guadeloupes ein – alles war hervorragend, u.a. auch die Accras, die für diese Inseln typischen Fisch/Teig-Bällchen. Im Gegenzug helfen wir ihm noch am letzten Tag das Haus auf Vordermann zu bringen, bevor die Airbnb-Gäste kommen, da das Haus erstmals in seiner Abwesenheit vermietet wird. Auch das passt perfekt zusammen, es ist nämlich der Tag unserer Abreise aus Les Saintes, an dem sich alles auflöst. Mit dem Taxi werden wir zur Bootsanlegestelle gefahren und dann verlassen wir diese surrealen Tage auf Les Saintes, um noch eine Nacht in Pointe-a-Pitre zu verbringen, bevor wir nach Dominica übersetzen.

Es ist interessant zu beobachten, wenn wir uns in diesen unterschiedlichen Welten – von der Obdachlosigkeit in einer Burgruine, in das Luxusleben von Wohlhabenden – bewegen. Dass diese „Fassaden“ des Lebens einfach nur Erscheinungen sind und unser Glück davon nicht wirklich berührt wird. Dass die tatsächliche Fülle des Erlebens einfach nur davon abhängt, wie weit es uns gelingt in diesen einzigartigen Moment einzusteigen, der stets viel mehr bereithält, als wir fassen können.